Content Marketing boomt und zieht auch Journalisten auf die andere Seite des Schreibtisches. Warum aber wechseln selbst etablierte Köpfe in eine Branche, die sie früher oft nicht ernst nahmen? brandiz. befragte prominente Seiten-Wechsler und erhielt interessante Antworten. Start einer kleinen Serie.
Journalist sein war schon immer mehr Berufung als Beruf. Wer mit Stift und Notizblock bewaffnet auf Recherche geht, darf sich als Vertreter der vierten Gewalt, unerbittlicher Sucher nach der Wahrheit und Gegner der Mächtigen fühlen. Auch wenn die „Geschichte hinter der Geschichte“ im Kampf der Meinungen und Ihrer Mache oft prosaischer, ja banaler ist – egal, ob man als Reporter für den Kreisboten oder für ein internationales Nachrichten-Magazin unterwegs ist: Wer schreibt, nimmt Einfluss, setzt Themen, treibt den öffentlichen Diskurs voran und bringt manchmal sogar die Verhältnisse zum Tanzen.
Die Verhältnisse im Content Marketing sind andere. Hier schreibt der Journalist für einen Auftraggeber, meistens ein Unternehmen. Das will Produkte verkaufen, Konsumenten für seine Botschaften interessieren, Positionen gegenüber anderen Stakeholdern aufbauen, kurzum, seine Interessen durchsetzen. Der breite, immer heftiger anschwellende Fluss des Content Marketings wird aus vielen Nebenflüssen gespeist, aus Lobbying, Public Relations, Corporate Communications, Werbung. Mag der (Ex-)Journalist sich weiterhin aus seinem Werkzeugkasten aus Recherche, Geschichten erzählen, Themen kreieren, Blatt machen bedienen, unabhängig ist er nicht mehr.
Content Marketing? Einmal Journalist, immer Journalist
Wie kommt ein Journalist mit dem Seitenwechsel ins Content Marketing klar? Und warum unternimmt er ihn? Das wollte brandiz. von einer Reihe namhafter Journalisten wissen, die ihre oft beachtlichen Karrieren im klassischen Journalismus gegen eine im Content Marketing eingetauscht haben. Viele Antworten überraschen, andere bestätigen Vermutungen, etwa die, dass die Arbeit in vielen Redaktionen deutlich härter, manchmal perspektivlos geworden ist. Eine Wahrheit aber kann aus allen Antworten herausdestilliert werden: Einmal Journalist, immer Journalist. Egal, welcher Absender an einer Geschichte klebt.
brandiz. startet seine Serie mit den Antworten von Dirk Benninghoff, seit über zwei Jahren Chefredakteur Public Relations der Agentur FischerAppelt. Die 1986 gegründete Agentur-Gruppe mit über 400 Mitarbeitern und neun Büros gehört zu den großen PR- und Content-Marketing-Dienstleistern in Deutschland. Der 49jährige Benninghoff war lange für die Wirtschaftsmedien von Gruner und Jahr sowie für große Medienmarken wie Bild und Stern tätig.
Hallo Herr Benninghoff:
Warum Content-Marketing statt Journalismus?
Funktioniert Journalismus auch ohne journalistische Unabhängigkeit?
Benninghoff: Content Marketing ist für mich kein Journalismus im eigentlichen Sinne, denn wie die Frage suggeriert: Der funktioniert ohne Unabhängigkeit nicht. Auf der anderen Seite erstellen wir journalistische Formate – Reportagen, Interviews etc. Da ist es nur gerechtfertigt, namentlich an den Journalismus anzuknüpfen. Ich würde daher in unserem Fall von Unternehmens-Journalismus sprechen.
Welche Regeln des Journalismus gelten im Content Marketing nicht?

Dirk Benninghoff, Chefredakteur bei FischerAppelt
Benninghoff: Die Unabhängigkeit, die eine ergebnisoffene Recherche ermöglicht. Die ist bei uns natürlich nur eingeschränkt vorhanden. Wir verbinden konkrete Ziele mit der Geschichte – ob Kaufentscheidungen oder Image-Aufwertung – da ist klar, dass zumindest die Richtung vorgegeben ist. Zu negativ für den Absender sollten die Stories nicht ausfallen…
Warum wechseln so viele, auch hochrangige Journalisten ins Corporate-Fach? Wegen der spannenderen Aufgaben, wegen des Geldes oder weil sie vom klassischen Journalismus desillusioniert sind?
„Unternehmen investieren in anspruchsvolles Storytelling“
Benninghoff: Zukunftssicherheit spielt eindeutig eine Rolle. Viele Kollegen trauen ihrem Arbeitgeber und klassischen Medien im allgemeinen langfristig nicht mehr viel zu, sind verunsichert von der wirtschaftlichen Entwicklung. Das höre ich immer wieder. Gleichzeitig wächst der Druck, da die Ressourcen knapper werden. Das und auch die Tatsache, dass Unternehmen und Marken immer mehr in gute Geschichten und anspruchsvolles Storytelling investieren, zieht viele ins Content Marketing. Sicher auch die Vorstellung, hier sei viel zu verdienen. Da sind die Erwartungen aber oft zu hoch.
Schon mal bereut, ins Content Marketing gewechselt zu sein?
Benninghoff: Nein. Nicht mal dann, wenn die Kundenvorstellung so gar nicht mit der eigenen übereinstimmte. Einziger Nachteil: Es ist privat schwieriger zu erklären, was man beruflich so macht. Bei der Wohnungsssuche trag ich dann halt doch Journalist ein…
Inzwischen hat jede Werbeagentur ihre CM-Abteilung. Ist das ein Zeichen für Übersättigung und drohenden Preisverfall?
Benninghoff: Es ist vielmehr ein Zeichen für das Potenzial. Steigende Budgets rufen immer mehr Wettbewerber auf den Plan. Doch damit können wir leben.
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