Content Marketing boomt und zieht auch Journalisten auf die andere Seite des Schreibtisches. Warum aber wechseln selbst etablierte Köpfe in eine Branche, die sie früher oft nicht ernst nahmen? brandiz befragte prominente Seiten-Wechsler und erhielt interessante Antworten. Ein Gespräch mit Stefan Tillmann, Editorial Director bei der Territory in München (Foto: Patricia Schichl).

Funktioniert Journalismus auch ohne journalistische Unabhängigkeit?

Tillmann: Die Frage ist natürlich, wie man Journalismus genau definiert. Sicher ist, dass man das journalistische Handwerk, das wir alle gelernt haben, beim Content-Marketing sehr gut einsetzen kann – und dass viele Kunden davon einen echten Nutzen haben.

Welche Regeln des Journalismus gelten im Content Marketing nicht?

Das ist gar nicht so leicht zu sagen, denn so viele Regeln gibt es im Journalismus ja nicht… Außerdem versuchen wir auch im Content-Marketing – auch wenn es streng genommen ein B2B-Geschäft ist – immer den Endverbraucher in den Blick zu nehmen. Die Denke ist also sehr ähnlich. Aber natürlich kann man in Texten nicht mehr so oft lustvoll rumblödeln, wie man das vielleicht früher mal gemacht hat…

Warum wechseln so viele, auch hochrangige Journalisten ins Corporate-Fach? Wegen der spannenderen Aufgaben, wegen des Geldes oder weil sie vom klassischen Journalismus desillusioniert sind?

Desillusioniert war ich nie. Ich glaube, dass Journalismus so spannend ist wie nie. Aber beim Content-Marketing gibt es einfach mehr Kreationsmöglichkeiten. Während man im Publikumsgeschäft alle Jubeljahre mal einen Relaunch wagt, entwickeln wir im Content-Marketing fortlaufend neue Hefte, Websites oder ganze Event-Reihen.

Schon mal bereut, ins Content Marketing gewechselt zu sein?

Nein. Ich würde aber nicht ausschließen, wieder zurück in den klassischen Journalismus zu wechseln – oder ganz etwas anderes zu machen.

Inzwischen hat jede Werbeagentur ihre CM-Abteilung. Ist das ein Zeichen für Übersättigung und drohenden Preisverfall?

Es gibt ja Umfragen unter Marketing-Entscheidern, nach denen Content-Marketing als die wichtigste Aufgabe gesehen wird. Kein Wunder also, dass sich dort nun viele Mitbewerber versuchen. Ansonsten entwickeln wir uns ja alle in Richtung Full-Service-Agenturen, weil Kunden gerne alles in einer Hand haben. Wir machen mit Honey ja auch Werbung – wenn auch etwas andere!

Stefan Tillmann ist seit Januar dieses Jahres Editorial Director bei der Territory Content to Results GmbH in München. Die Tochter des Verlagshauses Gruner und Jahr mit Hauptsitz in Hamburg ist laut Eigenangabe Marktführer im Bereich Content Communication und beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter. Vor seiner Territory-Zeit war Tillmann u.a. Chefredakteur der Berliner Stadtmagazin Tip und Zitty und als Redakteur für die Financial Times Deutschland und das Wirtschaftsmagazin Capital tätig. Der ehemalige Schüler der deutschen Journalistenschule kehrt demnächst dorthin zurück – als Dozent für Magazinentwicklung.