Die 17. Ausgabe der Digital-Konferenz re:publica hat sich vom Klassentreffen der Blogger und Netzaktivisten zur Plattform der politischen und wirtschaftlichen Elite gewandelt. Hat die re:publica ihren Sexappeal verloren, um an Bedeutung zu gewinnen? Der Convent zeigt jedenfalls, wie die Digitalisierung des Lebens alle bewegt, alles durchdringt.
Gelten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nicht als öde Staatsfunker? Als Großexemplare eines untergehenden Medienzeitalters, reif für den Friedhof der Elefanten? Als noch spießiger als die ARD gilt höchstens das ZDF, deren Zuschauer so gebrechlich sind, dass sich ihr Durchschnittalter allenfalls durch einen höheren Anteil an Ü-50-Guckern verjüngen ließe.
Insofern entbehrt die Szenerie auf Stage 2 der re:pubica nicht der Ironie: Mit sonorer Selbstverständlichkeit erläutert Claus Kleber der vielköpfig erschienenen Netzgemeinde, wie man auf dem Lerchenberg Hate-Speech und dem täglichen Shitstorm trotzt. Wie jeden Abend um 21.45 Uhr im Heute Journal erklärt der Anchorman dem Publikum die Welt da draußen. Besondere Heiterkeit erregt Kleber mit der Anekdote, wie er einen thüringischen Laubenpieper anruft, der gegen ihn Strafanzeige erstattet hatte. Der ZDF-Mann moderiert die Session „Fakes, Leaks und Desinformation“ locker weg, statt der „Meine-Damen-und-Herren“-Ansprache bequemt er sich der allgemeinen Duz-Kultur an, kritische Nachfragen gibt es kaum.
Re:publica, Ausgabe 17: Feeling wie auf der Mittelstandsmesse
Wer seinen Rollkoffer losgeworden ist und in den Eingangsbereich des elend weitläufigen Gebäudes – ein schlicht „Station“ genannter ehemaliger Post-Bahnhof – kommt, fühlt sich erst einmal wie auf einer Mittelstandsmesse und nicht wie auf dem Treffen der internationalen Digital-Community. Die Stiftungen der großen Parteien besetzen Stände, das Land Baden-Württemberg, Daimler hat eine zeltartige Repräsentanz aufgebaut. Dahinter ragt aber schon ein bunter Schilderwald mit Sprüchen von Netzaktivisten empor, die entweder Sinnhaftes oder schlicht Nonsense fordern, ganz im Stile des Convent-Mottos „Love out loud“.

Fitness-Trainer? Nein, ein Personal-Manager der Daimler Benz AG beim Vortrag vor re:publica-Vortrag.
Vor der Halle gibt es, wie aus einem Kochbuch für Bewohner von Berlin-Mitte, für teuer Geld Fritz-Kola und handgemachte Pommes mit veganer Mayonnaise für den kleinen Kongress-Hunger zwischendurch. Einige der mit Selbstgedrehter in der Hand und Flasch Bier vor dem Bauch Herumstehenden entpuppen sich bei näherem Hinsehen als SZ-Digitalboss Stefan Plöchinger oder re:publica-Co-Gründer Andreas Gebhard. Wer sich die App mit dem Kongress-Programm runtergeladen hat oder mit dem entsprechenden Faltplan, der jeden Tag frisch ausgedruckt für Freunde des Analogen ausliegt, herumstolpert, findet digitalen Themen in jeder Dareichungsform: Als Workshop, Frontalunterricht, Podiumsdiskussion, etc. Das Niveau reicht vom umjubelten Rockstarauftritt des Irokesen Sascha Lobo bis zum zusammengestotterten Power-Point-Vortrag eines aus Hamburg angereisten Studenten, der über Tracking und Targeting referiert. Der einzige Erkenntnisgewinn ist der, dass er das Thema selbst noch nicht komplett durchdrungen hat.
Andere nutzen ihre 15-Minutes-of-Fame besser, etwa Mads Pankow, Herausgeber der Zeitschrift „Die Epilog“, der in einem Nebengelass des Gebäudes vor eher kleinem Publikum einen brillanten Vortrag über Künstliche Kreativität hält. Das insgesamt um die 8000 Köpfe große Publikum, mit allen verfügbaren Gadgets always on, hört meistens höflich interessiert zu, Großdebatten entstehen eher weniger. Beim Rausgehen noch kurz E-Mails checken, dann hockt man schon in der nächsten Session.
Rebellen mit Konfetti stürmen Podium
Nur einmal blitzt Rebellengeist auf, als ein Aktivisten-Pulk mit Konfetti und Schildern („Cybersex statt Cyberwar“) ein Podium stürmt, auf dem ein paar Werber wie auf einem Markenkongress in unnachahmlicher Selbstgefälligkeit ihre total multi- und crossmedialen Kampagnen loben, weil einer der Referenten von der Bundeswehr ist. Dabei sieht der Mann aus dem Verteidigungsministerium mit seiner runden Brille nicht wie Nazi-Offizier Franco A. aus, sondern wie ein Soziologie-Student im 18. Semester.

re:publica: Klassentreffen der Blogger und Netzaktivisten war mal, jetzt kommt auch der Bundesinnenminister.
Nichts symbolisiert den Bedeutungswandel der re:publica mehr als der Auftritt von Bundesinnenminister Thomas de Maiziére, einer von mehreren Bundesministern, die referierend durch die Säle ziehen. Hatte vor zwei Jahren noch die Bundesstaatsanwaltschaft mit Wissen des Innenministeriums gegen netzpolitik.org-Betreiber und re:puplica-Mitgründer Markus Beckedahl wegen Geheimnisverrat ermittelt, so sitzt de Maizière jetzt mit eben jenen Beckedahl auf Stage 2 und pflegt den „netzpolitischen Dialog“.
Geht der Kongress den Weg aller Underground-Events?
Die re:publica sei in ihrer Vielfältigkeit immer noch einzigartig, sagt ein Veteran mit rasiertem Schädel und Dschingis-Khan-Bart, der den Convent seit zehn Jahren besucht und viele artverwandte Kongresse kennt. Dass sich inzwischen szenefremde Firmen wie Daimler oder gar die Bundeswehr auf dem Marktplatz der digitalen Demokratie tummeln, findet er völlig ok. Geht die re:publica in ihrem 17. Jahr den Weg aller Underground-Veranstaltungen? Von der Indie-Band aus Nachbars Keller zur Monstergruppe, die ganze Stadien rockt? Oder haben Nerd-Themen wie „Künstliche Kreativität“ einfach die Mitte der Gesellschaft erreicht?
Das spiegle nur die gesellschaftliche Realität wider, so der Programmierer. Seine auf rund 300 Mitarbeiter angeschwollene, auf E-Commerce spezialisierte Agentur wurde 2014 von Serviceplan übernommen, Deutschlands größter inhabergeführter Agentur-Gruppe.
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